Schon seit dem ersten Bekanntwerden der Pläne zum Umbau der Sozialversicherungen warnt die Arbeiterkammer vor weitreichenden Konsequenzen. Je mehr Details dazu bekannt werden, umso deutlicher zeigt sich auch, dass die großen Verlierer die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer sein werden. Mit der Entmachtung der Länderkassen wird in Zukunft sowohl die Budget- als auch die Personalhoheit zentral in Wien liegen. Und es wird keine „Patientenmilliarden“ geben, wie die Bundesregierung ankündigt, im Gegenteil:
Vorsichtig geschätzt gehen die AK Experten von 500 Millionen Euro allein an Fusionskosten aus, erhebliche personelle und zeitliche Ressourcen werden gebunden, wodurch sich die Serviceleistungen auf Jahre hinaus deutlich verschlechtern werden. Hinzu kommt die Zusammenlegung der neun Gesamtverträge mit den Ärztekammern zu einem österreichweiten Gesamtvertrag. Auch hier ist mit Kosten von mindestens 500 Millionen Euro zu rechnen. Schließlich belastet die Regierung die Gebietskrankenkassen und die AUVA in den nächsten fünf Jahren mit 1,1 Milliarden Euro zusätzlich: Mit mindestens 150 Millionen pro Jahr, weil die Kosten für die Behandlung von Arbeitsunfällen nicht mehr ersetzt werden, und mit 30 Millionen pro Jahr, die von den Versicherten der Gebietskrankenkassen in Richtung Privathäuser fließen, hinzu kommen Beitragskürzungen und anderes mehr. „Die Bundesregierung selbst geht im Begutachtungsentwurf von nur 33 Millionen Euro an Einsparungen bis 2023 aus. Die Menschen werden nur geblendet und von einer PR-Maschinerie überfahren. Doch das böse Erwachen wird kommen“, so Zangerl.
Vergebene Chancen.
„Ärztliche Versorgungsleistungen, vor allem in ländlichen Gebieten, sind gefährdet, dafür wird mehr Geld in private Spitäler, in die Pharmabranche und in die Krankenkassen der Beamten und Selbständigen fließen. Eine einheitliche Krankenversicherung für alle Österreicherinnen und Österreicher wird es nicht geben,“ sagt der AK Präsident. Gespart wird bei den Arbeitern und Angestellten, es drohen Selbstbehalte und das Ende der Mitversicherung für Angehörige. „Der Plan der Bundesregierung ist nicht arbeitnehmerfreundlich, sondern klar neoliberal: Wer es sich leisten kann, wird in Zukunft besser versorgt sein. Wer nicht, der eben nicht“, so Zangerl. Von einer „Harmonisierung“ der Leistungen kann dabei keine Rede sein, in Wahrheit wird eine Drei-Klassen-Medizin geschaffen. „Die Privilegien bei den Krankenfürsorgeanstalten (für eine Gruppe von öffentlichen Bediensteten und Politikern), der Beamtenversicherung und der neuen Versicherung für Bauern und Unternehmer werden beibehalten – und zwar auf Kosten der Arbeitnehmer, die jetzt zur untersten Klasse in Österreich zählen“, so Zangerl. Als Beispiel dafür nennt der AK Präsident, dass in den nächsten fünf Jahren allein 80 Millionen Euro an private Spitäler überwiesen werden. „Wer sich hier noch als soziale Heimatpartei bzw. christlich-soziale Partei bezeichnet, hat seine Wähler geblendet. Denn was hier kommt, ist genau das Gegenteil. Die Kleinen zahlen drauf, die Großen profitieren noch mehr“, urteilt der AK Präsident.
Die geplanten Änderungen im Detail:
• die Reduzierung der Anzahl der Sozialversicherungsträger von 21 auf maximal 5, wobei die bisher bestehenden 9 Gebietskrankenkassen durch die neu zu errichtende Österreichische Gesundheitskasse ab 1. Jänner 2020 ersetzt werden sollen (Zentralisierung). Damit soll gleichzeitig die Budget- und Personalhoheit von den derzeitigen Gebietskrankenkassen auf die ÖGK übergehen. Insgesamt sollen auch der bisherige Hauptverband zum Dachverband „verschlankt“ und die bisherigen Aufgaben erheblich reduziert werden.
• die Abschaffung des Ausgleichsfonds und Einführung eines schlechter dotierten Innovationsfonds.
• die Schaffung neuer Verwaltungskörperstrukturen bei den verschiedenen Trägern in paritätischer Besetzung. Dies bringt eine klare Schwächung von Arbeitnehmerinteressen, da die Anzahl der Arbeitnehmervertreter reduziert und die der Arbeitgeberseite wesentlich erhöht werden soll, und das, obwohl diese nicht in der ÖGK versichert sind und somit nicht zur Risikogemeinschaft zählen.
• zusätzliche Einschränkungen betreffend die Entsendung von Versicherungsvertretern seitens der zur Entsendung berechtigten Interessensvertretungen durch Festlegung von fragwürdigen Eignungsvoraussetzungen („Fit & Proper Test“) und Festlegung des Ausschließungsgrundes einer bereits vorhandenen Tätigkeit als Versicherungsvertreter in einem Verwaltungskörper.
• die Einführung eines Rotationsprinzips im Vorsitz der jeweiligen zuständigen Organe bei der ÖGK und PVA (jedoch nicht bei der AUVA und BVAEB), das in der dargelegten Form (Wechsel des Vorsitzes im 6-Monatsrythmus) weder sinnvoll noch effizient erscheint.
• die Landesstellenausschüsse werden weisungsgebunden und hinsichtlich ihrer Aufgaben wesentlich beschnitten.
• die Überführung der GPLA-Tätigkeit (= gemeinsame Prüfung aller lohnabhängigen Abgaben) und damit der Budgeteinhebung an das Finanzamt.
Insgesamt ist festzuhalten, dass mit der geplanten Umstrukturierung in maßgeblichen Bereichen ein aus verfassungsrechtlicher und demokratiepolitischer Sicht unzulässiger, jedenfalls bedenklicher Eingriff in die Selbstverwaltung verbunden ist. Nicht unbeachtet bleiben darf zudem, dass im Rahmen der geplanten Umstrukturierung eine große Anzahl von Arbeitnehmern mit der Situation konfrontiert werden, dass sie von ihrem bisherigen Dienstgeber einem anderen zugewiesen werden.
Die Vollversammlung der AK fordert deshalb die zuständigen Ministerien auf, die entsprechenden Gesetzesentwürfe nicht zu beschließen und statt dessen einen inhaltlichen Dialog mit den Interessenvertretungen aufzunehmen, um in konstruktiver Zusammenarbeit eine für die gesamte Versicherungsgemeinschaft wert- und sinnvolle Umstrukturierung zu erarbeiten.